Pokal brutal

Nach 6 Jahren durfte unsere 4er-Pokalmannschaft als bayerischer Finalist wieder auf deutscher Ebene mitmischen. Insgesamt 32 Mannschaften trafen bundesweit an 8 verschiedenen Orten am 28. und 29.1.23 zur Vorrunde 1 und 2 der Deutschen Pokal-Mannschaftsmeisterschaft (DPMM) zusammen. Wir erwischten in Gruppe 8 mit Ausrichter Sasbach (Baden), SG Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz) und SF Stuttgart (Württemberg) 3 Mannschaften, von denen potentiell jede an einem guten Tag weiterkommen konnte. Nach langer Anreise, zusammengefaltet im südkoreanischen Mittelklasse-PKW, trafen unsere 4 Pokalspieler Karsten, Christian, Alexander und Tom in Sasbach ein. Die Auslosung der 1. Runde bescherte uns SG Kaiserslautern mit einem Elo-Schnitt von 2163, gegen die wir mit unseren 2221 einen leichten Vorteil hatten. Aber da bekanntlich im Pokal alles möglich ist, haben wir auf die Zahlen nichts gegeben und stattdessen so aufgestellt, daß jeder seine Wunschfarbe bekam:

SC Gröbenzell – SG Kaiserslautern
1 Christian Grawe (Schwarz) – Oleg Yakovenko
2 FM Karsten Schuster (Weiß) – Matthias Huschens
3 Thomas Pieper (Weiß) – FM Ingo Bruch
4 Alexander Zentgraf (Schwarz) – Philipp Rölle

Mit Weiß auf Gewinn spielen und mit Schwarz bloß nicht verlieren war die Devise!

Karsten hatte im Damengambit eine starke Initiative am Damenflügel entwickelt, die ihm letztlich einen Mehrbauern bescherte. Sein Gegner nutzte jedoch die Abseitsstellung der weißen Schwerfiguren geschickt aus und generierte einen gefährlichen Angriff am Königsflügel. Karsten konnte zunächst alle Drohungen sauber parieren, musste dann aber eigene Gewinnversuche einstellen und Dauerschach geben.

Alexander hatte nach ausgeglichener Eröffnung die h-Linie geöffnet und hätte mit 26…Dh6! (statt Df6) die Initiative bei leichtem Vorteil behalten können. Stattdessen konnte sich nun leider sein Gegner der h-Linie bemächtigen und nach einigen weiteren Zügen das entstehende Turmendspiel leicht gewinnen. Kommentar von Karsten: “Wenigstens kann’s jetzt keinen Blitzentscheid mehr geben!”

Danach war der Wettkampf etwas kritisch geworden, da Tom zwar gut stand, Christian sich an Brett 1 jedoch gefährlichen Mattdrohungen und taktischen Tricks seines Gegners ausgesetzt sah. Tom konnte seine aktive Stellung dann relativ problemlos gewinnen, da sein Gegner im 25.Zug patzte und kompensationslos die Qualität verlor. Der Wettkampf stand nun also 1,5:1,5 und wir hofften, daß Christians Stellung halten würde, was uns dann gemäß Berliner Wertung den Sieg beschert hätte.

Im Endspiel T+L+B vs. T+L+B musste Christian Schwerstarbeit verrichten, da die ungleichen Läufer zusammen mit Turm und g6-Bauer für Weiß brandgefährliche Drohungen ermöglichten. Natürlich hätte Christian schon viel früher mit 41…g5+ nebst Te7 den Laden schwarzfeldrig dichtmachen können, aber dafür war es dann irgendwann zu spät. Stattdessen musste sich Christians König auf der Grundreihe verkriechen. Weiß konnte mit seinem 76.Zug (!) Le8 dann tatsächlich schwarzen Zugzwang generieren. Prompt griff Christian mit 76…Tc8? fehl und der Wettkampf wäre nach 77.Ke7! verloren gewesen. Nur mit 76…Ta7 war die Stellung zu halten. Zum Glück für uns sah der Gegner den subtilen Gewinnzug selbst nicht und spielte mit 77.Th5 auf den simplen Trick Txh6+. Den allerdings sah Christian auch nach über 6 Stunden Spielzeit und war mit 77…Tc7 wieder im Remis-Hafen, wo er nach einigen weiteren Zügen mit hübschen Pattmotiven auch vor Anker gehen konnte. Endstand also 2:2 und Sieg nach Berliner Wertung!

Etwas glücklich war damit der Einzug in die nächste Runde erreicht und wir konnten den Tag in unserer sehr schönen Unterkunft im Nachbarort beim fröhlichen Abendessen beschliessen.

Am Sonntag ging es dann gegen SF Stuttgart zur Sache. Die hatten ihre Aufstellung nochmal verstärkt und an Brett 1 den starken IM Kvetny sowie an Brett 4 den routinierten FM Lorscheid in ihre Mannschaft integriert. Bei einem Elo-Schnitt von 2319 und 4 Titelträgern waren die Stuttgarter damit natürlich in der Favoritenrolle. Aber Vorsicht: Der Pokal hat manchmal seine eigenen Gesetze!

Unsere Aufstellung orientierte sich auch dieses Mal wieder an unseren Wunschfarben:

Stuttgarter SF – SC Gröbenzell
1 IM Mark Kvetny – FM Karsten Schuster (Weiß)
2 FM Igor Neyman – Christian Grawe (Schwarz)
3 FM Thomas Brückner – Alexander Zentgraf (Schwarz)
4 FM Gerhard Lorscheid – Thomas Pieper (Weiß)

Nach ausgeglichenem Eröffnungsverlauf an allen 4 Brettern kam plötzlich leichte Unruhe auf, da Karstens Gegner Kvetny schon im 13.Zug Remis geboten hatte! Mannschaftsführer Tom wollte Karsten zunächst zum Weiterspielen überreden, aber Karstens hoher Bedenkzeitverbrauch sowie sein Elo-Nachteil von fast 100 Punkten sprachen dagegen und das Remis wurde besiegelt.

Auch Alexanders Gegner sah sich aus unbekannten Gründen genötigt, bereits im 16.Zug bei fast vollem Brett in ausgeglichener Stellung Remis anzubieten. Alexanders Antwort fiel ihm nicht schwer, und der Wettkampf stand 1:1.

Offenbar hofften die Stuttgarter auf ein 2,5:1,5 (mit Weißsieg an Brett 2) oder zumindest auf ein 2:2 mit anschließendem Blitz-Entscheid – da hätten die Stuttgarter mit Sicherheit die besseren Aussichten gehabt. Aber es kam anders…

Tom hatte gegen Lorscheids Leib-und-Magen-Eröffnung (Philidor-Verteidigung) nach der kleinen Ungenauigkeit 11…Dc7 einen leichten Vorteil rausgeholt, den er aber mit 16.f4 wieder aus der Hand gab. Allerdings hätte Tom die anschliessenden taktischen Verwicklungen mit dem schönen Damenopfer 23.Tf1! krönen können. Danach hätte sich Schwarz weiter schwächen müssen und sich nicht entlasten können. Auch 23.Dd2 wäre besser gewesen. Stattdessen wählte Tom eine Abwicklung ins Springerendspiel, die ihm zwar einen Mehrbauern einbrachte, doch Schwarz konnte im Gegenzug seinen König in Richtung Damenflügel aktivieren. Dann erfolgte der Übergang ins Bauernendspiel, der bei beiderseitig korrektem Spiel die Punkteteilung zur Folge gehabt hätte. Nach einem offensichtlichen Rechenfehler des Stuttgarters entstand jedoch plötzlich ein Damenendspiel mit 2 Mehrbauern für Tom! Auch dieses Endspiel wäre bei korrektem Spiel Remis durch Dauerschach gewesen. Im 55.Zug unterlief dem Stuttgarter dann allerdings mit Dg5+ ein folgenschwerer Fehler. Der weiße König fand auf h2 ein sicheres Versteck und die Partie war für Tom gewonnen!

Damit befand sich Christians Gegner Neyman – immerhin Deutscher Pokalsieger 2020 – in der undankbaren Aufgabe, ein minimal besseres Leichtfigurenendspiel unbedingt gewinnen zu müssen. Christian bewies jedoch auch hier wieder mal seine großen Ausdauer-Qualitäten und führte die schwarzen Figuren nach beinahe 6 Stunden Spielzeit zum sicheren Remis. Die Gratulation der Gröbenzeller Mannschaftskollegen fiel entsprechend herzlich aus, Gewinn mit 2,5:1,5!! Die lange Rückreise kam uns anschließend gar nicht so lang vor, entsprechend gut war die Stimmung im Auto.

Wir haben damit die Zwischenrunde auf deutscher Ebene erreicht und sind jetzt unter den letzten 16 Mannschaften (8 gesetzte Mannschaften vom letzten Jahr kommen noch dazu). Diese Mannschaften werden am 11./12.3.23 an 4 Orten bundesweit die letzten 4 Mannschaften für das Pokalfinale ermitteln. Die Auslosung hat uns in eine Gruppe mit SVG CAISSA Kassel, der Auswahl des Deutschen Blindenschachbundes sowie – Achtung festhalten! – dem mehrfachen Deutschen Meister OSG Baden-Baden geführt! Das ist natürlich der absolute Superhit, mit Spielern wie Rapport, Giri, Keymer, Adams, Shirov, Kasimdzhanov, Bacrot (um nur einige zu nennen) zusammen zu kommen! Aktuell bemühen wir uns um die Ausrichtung der Zwischenrunde, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß diese in Kassel stattfinden wird. Schaun mer mal, brutal wird’s auf jeden Fall…

Weitere Details finden sich in https://ergebnisdienst.schachbund.de/bedh.php?liga=dpmm, dort gibt es auch die Partien als pgn-Download.

 

Fotos (zur Verfügung gestellt von NSR Klaus Fuß):

Stuttgart – Sasbach

 

Blick in den Spielsaal

 

 

Kaiserslautern – Gröbenzell