Partie-Biographien

Eine Schachpartie verläuft – genauso wie ein menschliches Leben selten geradlinig und ohne überraschende Wendungen. Man erlebt Eröffnungsdebakel mit schnellem Untergang, überwältigende Angriffe aus dem Nichts, verbissene Kämpfe, verpasste Großchancen, erfolgreiche Gegenwehr, schockierende Fehler, langanhaltende Folter im Endspiel und ereignisarme Unentschieden. Natürlich aber auch systematisch erarbeitete Start-Ziel-Siege, vielleicht das Wunschergebnis vieler Schachspieler (und menschlicher Biographien?). Werfen wir einen Blick auf die Partie-Biographien unseres Auswärtskampfes bei der SG Post/Süd Regensburg.

Der Paulsen-Sizilianer (auch als Kan-Variante bekannt) verhält sich wie ein rebellischer Teenager. Entgegen altväterlicher Eröffnungsratschläge lässt er sich viel Zeit mit der Sicherung des Königs und expandiert zunächst in aller Ruhe am Damenflügel. Waldemar übertreibt es mit dieser provozierenden Strategie und geht an dem typischen Springeropfer auf d5 rasch zugrunde.

Antons Partie bildet den Lebenslauf zweier Geschwister ab, von denen einer auf die schiefe Bahn gerät, währenddessen der andere aufblüht. Ausgehend von einem symmetrischen Engländer geht der Nachziehende aggressiv am Damenflügel vor und exponiert damit seine Schwächen. Anton hingegen gelingt es, seine schlafenden Läufer innerhalb weniger Züge zu mächtigen Monstern zu entwickeln. Ein überzeugender Sieg, der noch vor dem 30. Zug eingefahren wird.

Ulis Aufbau vermittelt den Eindruck eines sich seiner Stärken bewusster, im Auftritt aber zurückhaltenden Langstreckenläufers. Ohne Gegenwehr überlässt er dem anderen die Initiative und setzt darauf, sich in der entscheidenden Phase durchzusetzen. In der Partie kommt es dazu leider nicht, nach einer Springerumgruppierung verbleiben zu wenig Ressourcen zur Verteidigung von Ulis Königsstellung.

Am 2. Brett wird das großartig-schaurige Ikarus-Drama aufgeführt. Tom gelingt zunächst alles, als Nachziehender kommt er blendend aus der Eröffnung und diktiert mit seinen aktiven Figuren das Geschehen. Zudem gerät sein Gegenüber auf der Suche nach chancenreichen Verwicklungen immer mehr in Zeitnot. Um den schnellen Erfolg zu erzwingen forciert Tom nun seinerseits, gerät dabei aber in einen unangenehmen Konter und überschreitet die Bedenkzeit.

Auch in seiner Partieanlage wandelt Bertl abseits ausgetretener Pfade und weicht keinem zweischneidigen Abenteuer aus. Auf die Art erarbeitet er sich immer wieder Gegenchancen und hält die Partie lange im dynamischen Gleichgewicht. In einer nervösen Phase vor der Zeitkontrolle riskiert er dann zuviel und wird kalt erwischt.

Am Spitzenbrett verläuft Karstens Partie nach Rückeroberung des Gambitbauern lange in geradezu beamtenhaft kontrollierten Bahnen. Aber auch hier können die Kontrahenten im Zulauf auf die Zeitkontrolle Fehler nicht vermeiden. Am Ende setzen sich die besseren Nerven durch. Nach seinem 39. Zug steht Karsten auf Verlust, nach dem 41. aber schon auf Gewinn, und der gerät jetzt auch nicht mehr in Gefahr.

Wie ein tänzelnder Boxer hält Alexander unentwegt Ausschau nach Schwächen im gegnerischen Lager. Als Nachziehender ergreift er sehr früh die Initiative und stellt unablässig knifflige Fragen, mal am Damenflügel, mal am Königsflügel. Kurz vor der Zeitkontrolle hat er damit seinen Gegner zermürbt und bringt den Punkt sicher nach Hause. Kontrolliertes Powerschach!

Manch einer legt einen erfolgreichen Karrierestart hin, bringt sich aber anschließend durch Überheblichkeit und mangelnde Konzentration um die Früchte seiner Arbeit. Christian verdichtet seinen Eröffnungsvorteil nach und nach zu einer glatten Gewinnstellung. Angesichts der inhärenten Remistendenzen ist die gewählte Abwicklung in ein Turmendspiel trotz zweier Mehrbauern fragwürdig, und prompt verpatzt er es am Ende noch zum Remis.

Wie im Vorjahr bleibt das Kräftemessen mit den Regensburgern durchgehend spannend. Diesmal haben die Oberpfälzer das bessere Ende für sich und setzen sich mit 4,5:3,5 durch. Wir freuen uns über den erfolgreichen Einstand unseres Neuzugangs Alexander und den starken Auftritt von Edeljoker Anton.

(cg, 28.10.2022)