Kontrastprogramm mit gutem Ausgang

In New York kämpfen zwei Mittzwanziger um die Weltmeisterkrone im Schach. Am Wochenende herrscht im frisch renovierten Gebäude des ehemaligen Fischmarkts ein reges Treiben. Die zahlreichen und zahlenden Zuschauer versuchen durch die schallisolierte Glasscheibe einen Blick auf die Protagonisten zu erhaschen oder lauschen andächtig der Kommentierung der ehemaligen Spitzenspielerin Judit Polgar. In der VIP-Lounge werden Kaviar und Champagner serviert. Nach jeder Partie findet eine internationale Pressekonferenz statt, die in Norwegen sogar live im staatlichen Fernsehen übertragen wird. – SCHNITT – In der alten Schule im oberbayerischen Gröbenzell kämpfen 16 Schachspieler um die Tabellenführung der Landesliga Süd. Fast alle Recken haben die Vierzig bereits überschritten. Im Spielsaal herrscht konzentrierte Stille als sich nach einer guten Stunde die Tür öffnet. Der Reporter der Lokalzeitung? Ein erster Zuschauer? Der Eintretende schmettert ein fröhliches „Guten Morgen“ in die Runde und erkundigt sich lautstark nach dem Zugang zum Heimatmuseum. Ein Spieltag voll herrlicher Kontraste!

Freising reist als Tabellenführer an nachdem am ersten Spieltag Rottal klar bezwungen wurde. Von der Papierform her muss dennoch die in Bestaufstellung antretende Heimmannschaft als Favorit gelten. Wird es eine Wachablösung an der Tabellenspitze geben?

In der Auftaktrunde war er noch unser ausdauerndster Kämpfer, heute macht Karsten als Erster Feierabend. Mit den schwarzen Steinen zeigt er sich bestens vorbereitet und erzielt bald komfortablen Ausgleich. Das frühe Remisangebot seines Gegners kommt Karsten gelegen. Er übernimmt die Kommentierung der Partien im Internet Analyseraum und hält die VIP-Gäste vereinzelten Schlachtenbummler bei Laune.

Bernd spielt mit 54 Zügen zwar die längste Partei des Tages, verbraucht dafür aber deutlich weniger Bedenkzeit als alle anderen Spieler. Im Schnellzugtempo rangiert er in einem schwerblütigen Spanier erfolgreich und schnürt die gegnerische Stellung immer weiter ein. Nach einem Qualitätsgewinn lässt der erhoffte Punktgewinn nicht lange auf sich warten.

Ron und sein Gegner ringen in einem komplizierten Doppelturmendspiel mit Leichtfiguren lange um kleinste Vorteile, die Stellung erscheint jedoch nie ernsthaft aus dem Gleichgewicht. In der Zeitnotphase übersehen die Kontrahenten eine taktische Finesse (38.Txf7!), spielentscheidend ist jedoch, dass bei Ron kurz vor der Zeitkontrolle die Bedenkzeit abläuft.

Christian opfert in der Eröffnung etwas optimistisch einen Bauern und macht sich dann auf die Suche nach Kompensation. Nach einigen Irrungen und Wirrungen erhält er tatsächlich einen gefährlichen Freibauern, der die Partie zu seinen Gunsten entscheidet.

Die Agressivität scheint am 5. Brett zunächst ähnlich ausgeprägt wie in New York, jedenfalls kommt ein Abtauschfranzose aufs Brett. Tobi entwickelt dann eine stark ausgeprägte Anhänglichkeit zu seinem schwarzfeldrigen Läufer. Nach 27 Zügen hat er ihn erfolgreich vor dem Abtausch bewahrt, muss aber angesichts des bevorstehenden Matts aufgeben.

Am achten Brett kommt es zum Kampf der Generationen, der älteste Spieler tritt gegen den jüngsten an. Beide fühlen sich in einem taktisch geprägten Sizilianer sichtlich wohl. In den unübersichtlichen Verwicklungen kurz vor der Zeitkontrolle behält Tom den besseren Durchblick und setzt sich mit energischem Spiel durch. Die jeweiligen Freibauern auf der 7. Reihe mit ihren unterschiedlichen Wirkungen bilden in der Schlussstellung einen amüsanten Kontrast.

Damit lautet der Zwischenstand 3,5:2,5 für Gröbenzell und angesichts der noch laufenden Partien kommt Optimismus auf. Mario ringt in einem Stellungskrieg am Damenflügel um positionelle Vorteile und gewinnt dabei allmählich die Oberhand. Angesichts des Zwischenstands ist es dennoch sein Gegner, der weiter auf Gewinn spielen muss, bis Mario in mannschaftsdienlicher Weise das Remis erzwingt.

Nach starker Eröffnungsbehandlung steht Uli bereits nach 13 Zügen vor der Wahl, auf welche Weise er die Partie gewinnen möchte – ein Kontrastprogramm der angenehmeren Art. Anstelle des ebenfalls möglichen Figurengewinns entscheidet er sich für den Damengewinn gegen Turm und Läufer. Auch wenn sich die Partie noch lange hinzieht, gerät der volle Punktgewinn nie in Gefahr.

Unser 5:3-Mannschaftserfolg ist perfekt, die unmittelbar anschließende Pressekonferenz Nachfeier findet im Wirtshaus Gröbenzell statt. Freising verliert die Tabellenführung an Haunstetten, Gröbenzell und Deggendorf folgen jetzt punktgleich dahinter. Am nächsten Spieltag wird es vermutlich erste Weichenstellungen in der Landesliga Süd geben, treten die vier Mannschaften an der Tabellenspitze doch gegeneinander an. Und jetzt schalten wir wieder live nach New York…

(cg, 21.11.2016)

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