Von überzähligen Damen, tickenden Uhren und durchbrechenden Bauern

Die 6.Runde der Oberliga 22/23 führte die 2.Mannschaft des Münchener SC in die Alte Schule nach Gröbenzell. Die Münchner mussten auf 4 Titelträger verzichten und gingen gegen uns mit 4 Ersatzspielern ins Rennen. Eine gute Chance für Gröbenzell, sich schon frühzeitig im Saisonverlauf mit einem 4:4 (oder besser) die Liga zu sichern.

Bertl erwischte an Brett 5 allerdings einen rabenschwarzen Tag. Er musste sich mit insgesamt 3 Damen auseinandersetzen, 2 auf dem Brett, und eine ihm gegenüber. Also wählte er folgerichtig die etwas skurrile, jedoch gar nicht so seltene und gut spielbare de Bruycker-Verteidigung im Caro-Kann (1.e4 c6 2.d4 Sa6). In meiner Datenbank finden sich über 700 Partien zu dieser Eröffnung, auch auf allerhöchstem Niveau. Seine Gegnerin Khrapko baute sich solide auf und konnte Bertls bedenklichem Damenschwenk Da5-h5 in Verbindung mit g5?! sehr effizient den Zahn ziehen. Konsequent reduzierte Bertl die Anzahl der Damen wieder von 3 auf 2, diese befanden sich jedoch aus Bertls Sicht dann leider auf der falschen Seite – schon nach 20 Zügen hieß es 0:1 gegen uns.

Auch an Brett 1 gab es bei Karsten eine Caro-Kann-Verteidigung zu besichtigen, diesmal eine Variante ohne h4 und h6. Sein Gegner Becker behandelte die Eröffnung relativ harmlos, und Karsten hatte nach Erkämpfung des Schlüsselfeldes d5 keine Probleme, die Stellung annähernd im Gleichgewicht zu halten – Remis war das logische Ende (0,5:1,5).

Tom wurde an Brett 3 mit den neuesten Feinheiten der italienischen Eröffnung konfrontiert. Sein Gegner Maruntis schien sich in der Stellung allerdings selber nicht gut zurechtzufinden und verbrauchte in der Folge sehr viel Bedenkzeit. Toms Läuferpaar übte einen permanenten Druck auf die weiße Struktur aus. Nach Verlust des Zentrumsbauern auf e4 war die weiße Stellung schon ruiniert und Toms Sieg nur noch eine Frage der Zeit – Ausgleich zum 1,5:1,5!.

Vogelwild ging es derweil an Brett 8 zu. Nach der Eröffnung, die irgendwo zwischen Englisch, Reti-System und Neo-Katalanisch anzusiedeln ist, konnte sich Waldemar nach 23 Zügen eine vielversprechende Angriffsstellung erarbeiten. Leider tickte wieder mal die Uhr viel zu schnell und die Stellungsbewertung flipperte in den folgenden 5 Zügen ständig zwischen +3 für Weiß und -3 für Schwarz hin und her. Selbst ein 0:0 als Partieresultat schien hier zeitweise möglich, da keine Seite den Sieg verdient hätte. Ab dem 29.Zug verlief die Partie dann wieder in ruhigeren Bahnen, und Waldemar hatte einen dauerhaften Vorteil im Läuferendspiel. Offenbar immer noch traumatisiert von den vorhergegangenen Ereignissen schätzte er seine bessere Stellung jedoch falsch ein und wiederholte im 40.Zug zum dritten Mal die Züge – Remis (2:2).

Bernd konnte an Brett 2 in einem geschlossenen Sizilianer wieder mal nachweisen, daß für ihn die Schachuhr eigentlich nur zu Dekorationszwecken dient. In unglaublichem Tempo stellte er seinem Gegner Alvir immer wieder neue Probleme. Zwar war die Stellung objektiv lange Zeit annähernd im Gleichgewicht, aber für Schwarz nicht leicht zu spielen. Der Übergang ins ausgeglichene Turmendspiel stellte für Schwarz noch den besten Verlauf dar, und ein Remisschluß durch Zugwiederholung um den 50.Zug herum wäre die logische Konsequenz gewesen. Schwarz versuchte jedoch, bei schwindender Bedenkzeit seinerseits auf Gewinn zu spielen und stellte im 58.Zug mit Txb2? (besser Te2) die Partie ein. Den folgenden Bauerndurchbruch mit erzwungener Umwandlung spielte Bernd dann gewohnt zuverlässig zu Ende und gewann verdient (3:2).

Uli hatte an Brett 7 im klassischen Damengambit die interessante Neuerung 12…Sh5 ausgepackt. Die weitere Fortsetzung mit 14…g6 erschien dann allerdings zweifelhaft, wahrscheinlich muß man hier nach einer Verbesserung suchen. Nach ungenauem weißen Spiel gewann Uli die Qualität, blieb allerdings weiterhin mit dem weißfeldrigen Problemläufer zurück. In der Folge fühlte sich Weiß am Damenflügel auf den schwarzen Feldern pudelwohl und erhöhte den Druck. Uli nutzte die Abseitsstellung der weißen Figuren geschickt für Angriffsoperationen gegen den weißen König aus. Die Stellung war dann einige Züge lang sogar deutlich besser für Schwarz. Im 33.Zug unterlief Uli leider mit Df7 ein Versehen, da nach 34.a6! der Läufer entwurzelt wird oder der Bauer durchläuft. Selbst danach wäre die schwarze Stellung bei genauem Spiel vermutlich noch haltbar gewesen. Auch nach dem Verlust des Bauern d5 kurz vor der Zeitkontrolle wäre das Turmendspiel mit 48…Td2 wohl noch zu verteidigen gewesen. Nach Ulis 48…Kc5 konnte Weiß den König vom Bauern b4 abdrängen und schließlich erobern (3:3).

Auch Ron hatte es an Brett 6 mit insgesamt 3 Damen zu tun. Seiner Gegnerin Tsakona war das offenbar zu viel und sie wickelte im 26.Zug zu einem de-facto-Damentausch ab, der sie im Endeffekt allerdings 3 Bauern kostete. Das Leichtfigurenendspiel konnte Ron dann mit leichter Hand gewinnen (4:3).

Unser gestecktes Ziel “Klassenerhalt” war damit schon erreicht. Für höhere Ziele war Christian an Brett 4 wie schon eine Woche zuvor im Pokalwettkampf wieder dazu verdammt, sein Endspiel remis zu halten. Nachdem er in leicht besserer Stellung mit 21.Scxb5 (anstatt Sdxb5) eine gute Gelegenheit zum Bauerngewinn versäumte, ergab sich nach taktischer Abwicklung ein völlig ausgegliches Leichtfigurenendspiel. Damit hat Christian mittlerweile beste Erfahrungen und konnte die Partie problemlos remisieren (4,5:3,5).

Bedenkt man, daß einige unserer Spieler mit diversen außerschachlichen Problemen zu kämpfen hatten, ist das Resultat ein großartiger Erfolg. Ihr habt tapfer durchgehalten, vielen Dank dafür!